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Borealis – die Perle aus dem Norden

Mit rund 8.900 Patenten ist Borealis weltweit eines der erfolgreichsten Unternehmen in der petrochemischen Industrie.
Foto: © Borealis

Die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung im Jahr 1990, dass die im Staatsbesitz stehende hoch defizitäre Chemie Holding in Linz von OMV übernommen werden musste, markiert für den Erdgas- und Erdölkonzern den Eintritt in das Chemiegeschäft, gleichzeitig jedoch auch eine enorme Finanzlast. Eine der Konsequenzen war, den Bau einer neuen Konzernzentrale auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Geplant war der Standort des jetzigen Millennium Tower.

Borealis aus Nordeuropa

Der Name nimmt deutlich Bezug auf seine Herkunft – Lateinisch für „nördlich“. Das Unternehmen selbst wurde 1994 durch die Zusammenlegung des Petrochemiegeschäftes von Neste Oil (Finnland) und Statoil (Norwegen) in Kopenhagen gegründet. Im Jahr 1998 wurde die OMV Petrochemiesparte PCD in Borealis eingebracht. Das Jahr 2005 brachte dann eine grundlegende Änderung der Eigentumsverhältnisse bei Borealis. Statoil und Neste verkauften ihre Anteile an OMV (36 Prozent) und 64 Prozent an die International Petroleum Investment Company IPIC von Abu Dhabi. Zu Beginn des Jahres 2017 fusionierte IPIC mit Mubadala Development, einem Staatsfonds ebenfalls aus Abu Dhabi, zur Mubadala Investment Company. Etwa zeitgleich erhöhte Mubadala im Einvernehmen mit der österreichischen Staatsholding (ÖBAG) die Beteiligung an dem österreichischen Energiekonzern OMV von 19,6 Prozent auf 24,9 Prozent.

OMV wird Mehrheitsaktionär bei Borealis

Mit dem strategischen Ziel, langfristig sich zu einem führenden, integrierten Unternehmen für nachhaltige Kraftstoffe, Chemikalien und Materialien mit starkem Fokus auf Lösungen für die Kreislaufwirtschaft zu wandeln, schien der Petrochemiekonzern Borealis eine ideale Ergänzung zum derzeitigen Geschäftsmodell von OMV. Diese „Perle aus dem Norden“ war schon einmal Objekt der Begehrlichkeiten – damals von Mubadala. Der Fonds wollte nicht nur die Beteiligung am OMV-Konzern, sondern auch bei Borealis aufstocken.  Der erbitterte und letztlich erfolgreiche Widerstand des damaligen OMV-Chefs Gerhard Roiss dürfte – Pressemeldungen zufolge – zu seinem vorzeitigen Abgang geführt haben.

Dramatische Ereignisse im Umfeld des Borealis-Mehrheitsaktionärs Mubadala beschleunigten die geplante verstärkte Zusammenarbeit mit dem Scheichtum Abu Dhabi, denn durch Machenschaften des Chefs der Vorgängergesellschaft IPIC entstand bei Mubadala ein Schaden von rund 5 Milliarden US-Dollar, den es galt, dringend auszugleichen. Und hier sah Rainer Seele, OMV-Chef und Top-Stratege mit einem Übernahmeangebot an Borealis in Höhe von 4,68 Milliarden US-Dollar eine einmalige Chance für den Transformationsprozess des Öl- und Gaskonzerns OMV. Zwar erwirtschaftete OMV einen Cashflow von insgesamt 4,3 Milliarden Euro, aber Seele wollte nicht alles auf die Borealis-Karte setzen. Letztlich entschied sich der OMV-Aufsichtsrat für eine Erhöhung der Beteiligung an Borealis um weitere 39 Prozent auf 75 Prozent und wurde damit Mehrheitsaktionär von einem der weltweit führenden Petrochemiekonzerne. Finanziert wurde dieser Mega-Deal über Hybridschuldverschreibungen, Anleihen und dem Verkauf von Assets wie zum Beispiel des OMV Tankstellennetzes in Deutschland an die EG-Group.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass neben OMV auch der österreichische Investor René Benkö sich an der Sanierung von Mubadala beteiligte. Benkö übernahm um rund 150 Millionen US-Dollar das Chrysler-Building in New York.

Borealis-Transaktion im politischen Kontext

Mit einem Volumen von fast 5 Milliarden US-Dollar ist die Borealis-Transaktion eine der größten in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte nach dem Jahr 1945. international gesehen jedoch von wenig spektakulärem Ausmaß. In Deutschland kauften zum Beispiel die französische Elf Aquitaine den gesamten Mineralölsektor der ostdeutschen MINOL-Gruppe einschließlich der Raffinerie in Leuna und BP übernahm die Veba Oil AG und damit auch Aral, Marktführer im deutschen Tankstellengeschäft. In den USA fusionierten Exxon und Mobil zu ExxonMobil und Conoco mit Phillips Petroleum zum drittgrößten Erdölkonzern der Welt. Die genannten Fusionen in Deutschland und den USA haben eines gemeinsam. Sie alle sind börsennotierte Unternehmen und – im Unterschied zur OMV – ohne staatliche Mehrheitsbeteiligung, somit jeglicher politischen Einflussnahme entzogen.

Die Borealis-Transaktion gestaltete sich für die Top-Manager von OMV und Borealis zu einem Spießrutenlauf. Es regnete bis zu einem Dutzend Strafanzeigen wegen vermutlicher Absprachen, die letztlich vom Gericht alle eingestellt wurden. Auch das Parlament und sogar ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss beschäftigten sich mit dem „Borealis-Deal“. Die plötzliche Reiselust maßgeblicher politischen Entscheidungsträgern nach Abu Dhabi war dabei der Sache nicht dienlich. Sie verstärkte nur das Misstrauen in der öffentlichen Wahrnehmung.

In den Unternehmen hinterließ diese Entwicklung auch weitreichende Spuren im Managementbereich. Dort führte es zu personellen Veränderungen bei OMV, Borealis und bei der Österreichischen Beteiligungs-AG (ÖBAG). Es betraf den Führungswechsel bei OMV, wo Alfred Stern dem Vorstandsvorsitzenden und CEO Rainer Seele folgte. Der Vorsitz im OMV-Aufsichtsrat wechselte von Wolfgang C. Berndt zu Mark Garret, der 2023 von dem deutschen Top-Manager Lutz Feldmann ersetzt wurde. In der ÖBAG Staatsholding wurde CEO Thomas Schmid von Edith Hlavati und der ÖBAG Aufsichtsratspräsident Helmut Kern von Günther Ofner, Vorstandsdirektor der Flughafen Wien abgelöst.

Thomas Gangl übernimmt die Führung von Borealis

Eine bemerkenswerte personelle Entscheidung war im April 2021 die Bestellung von Thomas Gangl zum CEO und Vorstandsvorsitzenden der nun im Eigentum von OMV stehenden Borealis. Zuvor war Gangl als Chief Downstream Operations Officer Mitglied des OMV Vorstands, wo er die OMV-Borealis-Transaktion leitete. In seine Amtszeit fielen die Investitionsentscheidungen für die Elektrolyse zur Produktion von grünem Wasserstoff und die für die Anlage zur Erzeugung von grünen Biotreibstoffen in der Raffinerie Schwechat, sowie die Etablierung des chemischen Recyclingprozesses ReOil der OMV.

Seine Führungskompetenz hat ganz wesentlich dazu beigetragen, die heftigen Wogen um das Borealis-Engagement zu glätten und das Unternehmen in ruhiges Fahrwasser zu führen. Thomas Gangl ist auch maßgeblich an der Weiterentwicklung der Borealis-Strategie beteiligt, in deren Mittelpunkt die Nachhaltigkeit steht, ebenso die beschleunigte Transformation des Unternehmens im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.

Thomas Gangl ist eine kompetente Vorstandspersönlichkeit mit einem breiten Erfahrungsschatz von OMV und Borealis, von wo er im Juni ausscheiden wird, um als CEO das Europa-Geschäft von Liberty Steel zu übernehmen.
Foto: © Borealis Foto von Thomas Gangl